Diesel-Klau: Gratis-Tankstelle Lok 218 | STERN.de

2022-04-22 23:20:53 By : Owen Shen

Jahrelang haben dreiste Diebe aus bayerischen Diesellokomotiven Kraftstoff abgezapft und damit schwunghaften Handel getrieben. Die Bahn hat nichts bemerkt. Stutzig wurde man erst, als im vergangenen Jahr der Regionalexpress Mühldorf - München immer häufiger auf der Strecke blieb - wegen Spritmangel. Weil ein Bahnmitarbeiter in die Sache verwickelt ist, sollte die Peinlichkeit zunächst unter der Decke gehalten werden. Doch angesichts möglicher Nachahmer bei weiter steigenden Spritpreisen überlegt die Bahn nun, ihre Dieselloks besser zu sichern: Bei den älteren Modellen ist noch nicht einmal der Tankdeckel abschließbar.

Nach den Ermittlungen der für die Bahn zuständigen Bundespolizei hat die Sache irgendwann 2004 klein angefangen. Vermutlich haderte damals der Mühldorfer Klemens K. wie viele andere mit den hohen Dieselpreisen. Seine Abhilfe: Gelegentlich zapfte er nachts mit einem 20-Liter-Kanister und einem dünnen Schlauch zum Ansaugen gratis aus abgestellten Loks der Baureihe 218.

Schwer war das nicht. Als Bahnmitarbeiter fiel Klemens K. auf dem Gelände der "Lokabstellung Mühldorf" nicht weiter auf. Eine Videoüberwachung gab es ohnehin nicht, dagegen hatte sich der Betriebsrat, dem er selber angehörte, stets mit Erfolg gewehrt. Und die 32 wuchtigen Loks vom Typ 218 luden zum Dieselklau geradezu ein: Ihre riesigen Tanks hängen unten am Wagen, die unverschließbaren Einfüllstutzen mit dem handlichen Öffnungshebel genau in Griffhöhe. Eine Tankuhr im Führerstand? Fehlanzeige. Lediglich außen zeigen kleine Schaugläser grob den Füllstand an. Bei einem Fassungsvermögen von über 3000 Litern fiel so der Schwund nicht auf.

Weil alles so einfach war, bekamen Klemens K., seine Frau und sein Bruder Lust auf mehr. Die Kanister wurden immer zahlreicher und immer größer, der Ansaugschlauch wich einer Elektropumpe. Als Klemens K. Ende Februar schließlich von der Bundespolizei auf frischer Tat ertappt wurde, war er im Auto mit Anhänger vorgefahren und hatte vier Fässer je 200 Liter abgefüllt. Mittlerweile wurde er entlassen und sitzt in U-Haft.

Entsprechende Mengen muss K. sich schon monatelang beschafft haben. Denn nach Insiderinformationen blieb der Regionalexpress von Mühldorf nach München 2006 mindestens fünf Mal auf offener Strecke liegen. 800 Liter weniger im Tank ließen den 2800 PS starken und 90 Tonnen schweren Dieselkolossen vorzeitig die Puste ausgehen. Oft mussten die Bahnkunden stundenlang warten, bis ihr Zug von Ersatzloks abgeschleppt wurde. Während sich bei der Bahn die Zuständigen fetzten, ob bei der Betankung oder bei der Reichweitenberechnung Fehler gemacht wurden, bauten die Dieseldiebe ein gut funktionierendes Vertriebsnetz auf. Anfangs schafften sie ihre Beute noch nach Hause, später mieteten sie eine extragroße Garage an. Dort bunkerten sie den Sprit in Kunstdünger- und Putzmittelkanistern, Ölfässern und alten Heizöltanks. Verkauft wurde er zum Preis von 70 Cent je Liter. Der Andrang war groß: "Offenbar hat bei denen Gott und die Welt gekauft", so ein Sprecher der Münchner Bundespolizei. Wenn in der Garage einmal Ebbe herrschte, lieferte Klemens K.s Bruder zu, der bei dem Mineralölkonzern OMV beschäftigt war und auch dort eine Quelle zum Gratiszapfen aufgetan hatte.

Wurde doch einmal ein Kunde misstrauisch und fragte nach, erzählte Klemens K., der Diesel sei ganz offiziell wegen nötiger Tankreparaturen aus den Lokomotiven abgelassen worden und nun für die Bahn unbrauchbar. Mitunter soll er den geklauten Kraftstoff sogar in Dienstfahrzeugen mit dem DB-Logo frei Haus geliefert haben.

Gerüchten zufolge flog die Sache erst dadurch auf, dass im Februar ein Kunde direkt zum Mühldorfer Bahnhof fuhr und dort "den billigen Bahner-Diesel" haben wollte. Um den Restsprit aus der Garage und bei belieferten Kunden wieder einzusammeln, musste die Bundespolizei mit Tiefladern anrücken. Hunderte von Kanistern, Tanks und Fässern aller Größen wanderten so zurück auf das Mühldorfer Bahngelände, wo ihr Inhalt nun peu a peu von Hand wieder in die Loks gefüllt wird. Nach bisherigem Ermittlungsstand beläuft sich der Schaden auf mindestens 37000 Liter.

Die Menge gilt zwar bahnintern als "Peanuts", aber ob die bayerische Posse ein Einzelfall ist, weiß man nicht. Nun wird, so ein Bahnsprecher, "ernsthaft über eine bessere Sicherung der Diesellokomotiven" nachgedacht. Schließlich ist die rund 30 Jahre alte "218" noch in ganz Deutschland unterwegs. Bei der Bundespolizei hat man da schon einen Vorschlag: "So ein Hängeschloss am Tankdeckel kostet 1,75 Euro."

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